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Thursday, April 22, 2004

Zum 200. Geburtstag von Immanuel Kant – Weltfrieden gegen

could someone translate this interesting article ???

Inhalt einer e-mail von einem Mitglied der DFG-VK Berlin
Liebe friedensfreunde,

hier einen Hintergrundsartikel aus der Wochenendausgabe des ND v.
17.94.04 der den Frieden verstehen hilft- oder!!??

Wünscht alles Gute
Lothar Eberhardt


Pax Kantiana contra Pax Americana
Zum 200. Geburtstag von Immanuel Kant – Weltfrieden gegen
Weltherrschaft


Von Hermann Klenner

Die Anzahl derer, die des Immanuel Kant transzendentalphilosophischen
Weltanschauungsansatz wirklich verstanden haben, dürfte im Lande seiner
Muttersprache kleiner sein als die der beamteten Philosophieprofessoren.
Wer beherrscht schon den Denkweg von Leibniz zu Hegel, ohne den
begriffen zu haben der in dessen Mitte philosophierende Kant nicht
angemessen gewürdigt werden kann?
Der am 22. April 1724 geborene und 1804 gestorbene, in Königsberg
lebende und lehrende, aber auch in Berlin publizierende Immanuel Kant
hat sich zwischen seinem 60. und seinem 75. Lebensjahr zu keinem Problem
häufiger geäußert als zu der Frage, ob und wodurch das seiner Meinung
nach größte Übel der Völker, der »kontinuierliche Krieg« zwischen ihnen,
in einen »immerwährenden Frieden« überführt werden könne? Als zu Beginn
dieses Jahres das anstehende doppelte Kant-Jubiläum (Todestag: 12.
Februar 1804) auch in den ernsteren Tageszeitungen reflektiert wurde,
ist merkwürdiger Weise aber genau dieses Fundamentalproblem der
Menschheit, das Kant in mindestens acht verschiedenen seiner Schriften
sowie 1795 in einem zunächst in zweitausend Exemplaren verbreiteten
selbstständigen Traktat von 104 Seiten – »Zum ewigen Frieden. Ein
philosophischer Entwurf« – erörtert hatte, buchstäblich links liegen
gelassen worden. Die Leibniz-Sozietät jedoch hat sich auch dieser Frage
angenommen. Zufall? An Zufälle solcher Art zu glauben, ist mir die
Naivität abhanden gekommen. Inzwischen ist im Zentralorgan des deutschen
Kapitals Kants Friedenstext sogar als höchstens für Sonntagsreden
geeignet, ansonsten aber als hirnrissig bezeichnet worden; seine
Schwäche offenbare sich heutzutage in der Hilflosigkeit der Vereinten
Nationen gegenüber jener Supermacht, die jetzt das Recht des Stärkeren
wahrnehme und wohl auch wahrzunehmen die Pflicht habe. Zuvor war bereits
– entgegengesetzt sinnwidrig – Kants Friedensschrift als
Rechtfertigungsgrundlage für den NATO-Krieg gegen Jugoslawien
monografisch missbraucht worden.
Als Kant während der damaligen Kriegszeiten in die europaweit wuchernde
Friedens-Diskussion, übrigens zu Gunsten der französischen Revolution,
eingriff, hieß es in einer der vielen seinem Friedenspamphlet gewidmeten
Rezensionen, dass die erhabene Gesinnung des ehrwürdigen Weisen noch von
der spätesten Nachwelt bewundert werden würde.
Gesinnung hin, Gesinnung her; dafür braucht man keine Philosophen. Man
hat sie, oder hat sie nicht – die Gesinnung. Es ist weniger das
Bekenntnis Kants zum Frieden, das heute in Erinnerung zu rufen viel Sinn
macht; es sind vielmehr seine Erkenntnisse, die ihn als einen
philosophischen Zeitgenossen noch unserer politischen Gegenwart
ausweisen, wenn es darum geht, Einsichten in das unbedingt Erforderliche
zu gewinnen, um dem heutigen militärischen Morden ein Ende zu bereiten.
Wie es einem Systemdenker zukommt, hat Kant seine friedenspolitischen
Auffassungen zu einer geschlossenen Theorie verdichtet. Diese wiederum
hat er als deren notwendiges Element in seine Geschichts-, Sozial- und
Rechtsphilosophie integriert. Das alles kann hier nicht einmal in
Umrissen wiedergegeben werden, denn das Gedankengeflecht des Patriarchen
deutscher Metaphysik zu komprimieren, heißt sich dem Verdacht wie der
Gefahr auszusetzen, an seinen Gedankengängen zu manipulieren. Davon
zeugt und lebt eine ganze Literatur.
Vielmehr soll hier auf die damals wie heute zum Selbstdenken
provozierende Substanz seiner Friedenskonzeption verwiesen werden, auch
um das Vorurteil abzubauen, dass deren Autor eine Kontaktaufnahme mit
der Wirklichkeit vermieden habe, damit sich sein genialisches Überhirn
vollständig dem In-sich-Geschäft der Vernunft widmen könne.
Drei Gesichtspunkte sind es vor allem, die zwar nicht den Ruf: »Zurück
zu Kant!« legitimieren, wohl aber die Warnung: »Kein Zurück hinter
Kant!«
Zunächst hielt er das kriegerische Morden der Menschen durch
ihresgleichen nicht für ein durch deren aggressive Triebausstattung
definitiv bedingtes Verhaltensmuster. Ohne sich die Natur des (seiner
Meinung nach aus »krummem Holze« geschnitzten) Menschen schönzureden,
war er jedenfalls der Meinung, dass Kriege gesellschaftsbedingte
Phänomene seien, charakteristisch für vorübergehende Phasen der
Menschheitsentwicklung, und zwar während ihrer barbarischen Zeiten.
Kriegstapferkeit, so schrieb er hintergründig, sei die höchste Tugend
der Wilden – in ihrer Meinung. Frieden, der ewige insbesondere, war für
ihn das Ergebnis eines in der Objektivität menschlicher
Gesellschaftsentwicklung angelegten Fortschrittsprozesses, kein Traum,
auch kein durch Moralisieren herbeizuführendes Sofortereignis, sondern
eine dem »Mechanismus der Natur« gemäße, in der objektiven Tendenz
»einer ins Unendliche fortschreitenden Annäherung« liegende subjektive
Verhaltensentwicklung.
Nicht auf den Edelsinn der Völker, sondern auf ihren Eigennutz setzte
Kant. Kriege zu erleiden, sei keine von Gott auferlegte Strafe, Kriege
zu führen keine göttliche Mission. Letzteres nimmt aber die von der
Bush-Administration mit Panzern und Raketen betriebene Kreuzzugsversion
mit ihrer Anmaßung: »We are a nation under God« nicht weniger in
Anspruch als der Terroristen Taten in Allahs Namen. Newton benötigte für
sein Weltbild einen göttlichen Nachbesserer, der einen möglichen Kollaps
im Sonnensystem zu verhindern hatte; Kant hingegen verdanken wir neben
einer vollständig säkularen Kosmogonie auch eine ihr insofern adäquate
Gesellschaftstheorie. Und zeigen nicht alle unsere eigenen Erfahrungen,
dass Kriege menschengemacht sind: Bevor sie geführt werden, werden sie
vorbereitet und dann auch noch in durchaus irdischem Interesse
herbeigelogen.
Krieg, von Kants Schüler Herder als »Mord auf Befehl« definiert, ist die
brutalste Form von Staatsterrorismus. Er hat nicht nur einen Anlass, er
hat vor allem eine Ursache. Gesellschaftliche Kausalitäten zu verhüllen,
gehört freilich zu den wichtigsten Funktionen jener mit den
militärischen Gewalthabern kollaborierenden medialen Machthaber. Ohne
eine auch diese Zusammenhänge aufklärende Gegensteuerung ist kein Krieg
zu verhindern.
Sodann hat der kleine Mann aus Königsberg die Kriegsentstehung und
-führung aus den Interessen der Obrigkeiten erklärt, und damit das
Interesse am Frieden dem Volk zugeordnet. Es verargten damals sogar die
gewiss nicht reaktionären Humboldt und Schiller Kants Friedenspamphlet
den »wirklich zu grell durchblickenden Demokratismus.« Zieht man die
Konsequenz aus Kants rhetorischer Frage, welches Recht eigentlich der
Souverän habe, seine Untertanen in den Krieg wie auf eine Jagd und zu
einer Feldschlacht wie auf eine Lustpartie zu führen, gelangt man
unschwer zu einer Illegalisierung des Krieges als Mittel der Politik und
zu einer dem Recht eines »jeden Menschen(!), im Frieden zu sein«,
entsprechenden Staatenpflicht zum Frieden. Schließlich stammt von Kant
auch der pazifistische Imperativ: »Ein jeder Staat werde in seinem
Innern so organisiert, dass nicht das Staatsoberhaupt, dem der Krieg
(weil er ihn auf eines anderen, nämlich des Volkes, Kosten führt)
eigentlich nichts kostet, sondern das Volk, dem er selbst kostet, die
entscheidende Stimme habe, ob Krieg sein solle oder nicht.« Nicht das
zur Rechtfertigung von Kriegen allezeit bereite »diplomatische Korps«,
sondern nur das die Drangsale des Krieges und die nachfolgende
Schuldenlast auch erleidende Volk sei über einen Krieg zu befinden
berechtigt.
Übrigens hat Kant sogar die Begründung für einen anarchistischen
Imperativ geliefert: Der Besitz der Gewalt, heißt es bei ihm, verderbe
»unvermeidlich (!) das freie Urteil der Vernunft.« Man denke diesen Satz
zu Ende. Und gibt es nicht tausend gute Gründe, diesen Wahrspruch jenen
amerikanischen Staatsmännern und ihren deutschen Subunternehmern mit
beiden Händen ins Stammbuch zu schreiben, die für die USA, wenn schon
nicht die Berechtigung zu einer Weltherrschaft (Global Domination), dann
zumindest zu einer Weltführerschaft (Global Leadership), ob mit, ob ohne
Krieg, zubilligen?
Und drittens ist Kants ureigenes, überwiegend unbeachtetes Transferieren
seines allseits geläufigen kategorischen Imperativs vom
Gegenstandsbereich der zwischenmenschlichen auf den der
zwischenstaatlichen Beziehungen von allerhöchstem Gegenwartsinteresse.
Ins Außenpolitische gewendet postuliert nämlich sein nicht von Ungefähr
auch in seinem Friedenstraktat zitiertes »Handle so, dass die Maxime
deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen
Gesetzgebung gelten könne«, die Norm eines Miteinanders
gleichberechtigter Staaten. Diese Option Kants für eine »Föderation nach
einem gemeinschaftlich verabredeten Völkerrecht« stimmt mit den
Grundprinzipien des Völkerrechts der Gegenwart im Großen und Ganzen
überein, steht aber in einem unbedingten Gegensatz zur offiziell als
neue »Nationale Sicherheitsstrategie« verlautbarten und blutig
praktizierten Abkehr der US-amerikanischen Außenpolitik von einer durch
das atomare Patt erzwungenen internationalen Kooperationspolitik hin zu
einer unilateralen Gewaltpolitik. Weltherrschaft oder Weltführerschaft
zu beanspruchen, erwies sich als konzeptionelle Vorbereitung von
Völkerrechtsverbrechen. Die das Verbot eigenmächtig ausgeübter
zwischenstaatlicher Gewalt ebenso wie die »souveräne Gleichheit aller
ihrer Mitglieder« dekretierende Satzung der Vereinten Nationen, und
damit indirekt auch die Friedenskonzeption des Immanuel Kant als
veraltet zu verwerfen, da sie die Präventivkriegspolitik der USA und
ihrer willigen Vasallen nicht hatten verhindern können, entspricht dem
intellektuellen Niveau des Vorschlags, in den Strafgesetzbüchern das
Mordverbot zu streichen, da es die zahlreichen Morde nicht habe
verhindern können!
Es gibt viele Gründe, den – wie ihn Moses Mendelssohn charakterisierte –
»alles zermalmenden Kant« zu ehren. Nicht dass bei ihm die Lösung der
Welträtsel abzurufen wäre. So funktioniert die Rezeptionsgeschichte der
großen Denker nicht. Aber Kant hat Einsichten in den Fortschrittsprozess
der Menschheit beigesteuert, hinter die zurückzugehen sie das Überleben
kosten oder sie zumindest in ihr barbarisches Zeitalter zurückwerfen
könnte. Im eigentlichen Sinne kommt es also gar nicht auf eine Ehrung
Kants an. Etwas für seine wissenschaftliche Hinterlassenschaft zu tun,
heißt den Wahrheitsgehalt seiner Provokationen in unsere eigene
Gedankenwelt einzuschleusen. Dazu haben wir allerdings allen Grund.

Der Berliner Professor, Jg. 1926, Mitglied der Leibniz-Sozietät,
verfasste zahlreiche rechtsphilosophische Arbeiten u.a. zu Hegel,
Hobbes, Kant, Locke und Paschukanis.
Hinweis zu Neuerscheinungen über Kant:
Oskar Negt: Kant und Marx. Ein Epochengespräch. Steidl Verlag, 112S.,
geb., 14 EUR.
Jean Grondin: Kant. Junius Verlag, 159S., br., 11,50 EUR.
Heiner F. Klemme: Immanuel Kant. Campus Verlag, 172S., br., 12,90 EUR.
(ND 17.04.04)


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